The Departed – Unter Feinden

Es hat Tradition in Hollywood, dass die Studios Filme, von denen sie sich große Oscar-Hoffnungen machen, in den letzten drei Monaten des Jahres in die Kinos bringen. Das trifft – wie so häufig – auch auf Martin Scorseses neuesten Film zu, hochkarätig besetzt mit Matt Damon, Jack Nicholson, Leonardo DiCaprio und weiteren bekannten Namen. „The Departed“ ist ein Remake des spannenden Hong Kong-Thrillers „Infernal Affairs“ aus dem Jahre 2002, gleichzeitig bereits die dritte Zusammenarbeit des Regisseurs mit Hollywood-Superstar Leonardo DiCaprio. Und ganz nebenbei auch einer der besten Filme des Jahres…Matt Damon spielt Colin Sullivan, der bereits als Kind unter die Fittiche von Bostons irisch-stämmigem Unterweltkönig Frank Costello (Jack Nicholson) geriet. Costello schickt Sullivan zur Polizeischule, wo er mit Bravour seinen Abschluß macht. Schon bald gehört er zu jener Spezialeinheit, die seinen Boss ins Gefängnis bringen will. Sullivan agiert als Spitzel für Costello, was sich zunehmend kompliziert gestaltet – denn auch die Polizei von Boston hat einen Spitzel ausgeschickt, dessen Identität jedoch streng geheim ist.

Tatsächlich kennen nur Captain Queenan (Martin Sheen) und Sgt. Dignam (Mark Wahlberg) die Identität ihres Undercover-Beamten. Denn für Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) könnte jede Information über seine wahre Identität sein Todesurteil bedeuten. Über einen Cousin hat sich Costigan in den engeren Kreis um Frank Costello eingeschlichen, bemüht seinen Vorgesetzten wichtige Informationen zu liefern, ohne seine Tarnung aufzugeben.

Wie schon im Original entfaltet die verzwickte Ausgangssituation eine ungeheure Sogwirkung. Das Spiel mit den falschen Identitäten ist geprägt von permanenter Angst, bloß gestellt zu werden und sorgt für einige der spannendsten und besten Szenen des Films. Im Gegensatz zur Vorlage gibt Scorsese seinen Charakteren dabei mehr Raum und Tiefe, weshalb „The Departed“ mit 150 Minuten Laufzeit eine volle Stunde länger braucht, um seine Geschichte zu erzählen.

Das zentrale Thema von „The Departed“ fasst Frank Costello schon zu Beginn zusammen. Als Ire in Boston habe man zwei Möglichkeiten: Man wird entweder Polizist oder Gangster. Aber, so fragt Nicholson mit diabolischem Grinsen, wenn man in den Lauf einer geladenen Waffe blickt, wo ist dann der Unterschied? Gerade für DiCaprio als Billy Costigan wird diese fatale Weisheit im Laufe der Handlung zu seinem ärgsten Feind. Costigan und Sullivan wissen zwar um die jeweilige Existenz des anderen, allerdings nicht um die genaue Identität. Sie beide leben in zunehmender Angst, erkannt zu werden, was tödliche Konsequenzen mit sich brächte.

Leonardo DiCaprio und Matt Damon waren selten bis nie besser als in diesem fantastischem Zwitterwesen aus Polizei- und Gangsterfilm. Auch Jack Nicholson ist in wahrer Bestform und erweckt mit Frank Costello einen ungemein realistischen und bedrohlichen Bösewicht zum Leben, ohne dabei in „Joker“-artige Manierismen zu verfallen. Ebenfalls überzeugend sind Martin Sheen, Mark Wahlberg, Alec Baldwin sowie die bislang recht unbekannte Vera Farmiga, die die hübsche und für die Story elementar wichtige Polizei-Psychologin Madolyn spielt.

Eine weitere große Stärke des Films ist das (adaptierte) Drehbuch von William Monigan, das starke Dialoge, perfektes Timing und eine große Portion zuweilen äußerst brutalen Realismus vereint. Scorseses Inszenierung des Stoffes ist geprägt von einer ruhigen, nur selten auf musikalische Untermalung bauenden Intensität. Er verzichtet weitgehend auf trickreiche Kamerafahrten und konzentriert sich auf Story und Charaktere, doch in einigen großartig komponierten Szenen ist seine Handschrift deutlich zu erkennen. Eine Liste der vielen Momente ganz großen Kinos würde hier den Rahmen sprengen.

Wenn Anfang nächsten Jahres die Liste mit den Oscar-Nominierungen erscheint, wird „The Departed“ sicher mehrfach dabei sein. Zum jetzigen Zeitpunkt kenne ich keinen Grund (bzw. Film), warum Martin Scorsese seinen wohlverdienten Oscar für die beste Regie nicht anno 2007 tatsächlich bekommen sollte. Er hat ein Remake gedreht, das noch besser ist als das Original, weil es das Potential der Story vollends ausschöpft. Die Stärken von „Infernal Affairs“ finden sinch allesamt auch in seiner Version auf der Leinwand, noch dazu verfeinert durch tiefgründigere Figuren und ein leicht abgewandeltes, meisterliches Ende. Dazu ist es mit einem Einspielergebnis von über 110 Mio. Dollar sein kommerziell erfolgreichster Film in den USA. Aber wenn es doch wieder nicht reichen sollte, denkt man einfach an den guten Sir Alfred Hitchcock. Wahre Meister brauchen keine Oscars.

10/10

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