‚Serien vs. Filme‘ – Unspektakuläre Beobachtungen

Es wird niemanden groß überraschen, wenn ich zu Protokoll gebe, dass ich in den letzten 10 Jahren eine ganze Menge Fernsehserien gesehen habe. Mit dem Start von „Weeds“ (2005), „Dexter“ (2006), „Mad Men“ (2007), „Californication“ (2007) und „Breaking Bad“ (2008) begann sich in meinem persönlichen Konsumverhalten das Verhältnis zwischen Spielfilmen und Kino langsam zu drehen.

Spätestens seit dem Start von „Game of Thrones“, „Homeland“ oder „House of Cards“ (um nur die bekanntesten zu nennen) einige Jahre später gucke ich mehr Serien als Filme. Je mehr gute Shows es plötzlich gab, desto weniger sehenswerte Filme erschienen. Was so nicht ganz stimmt, denn es gab und gibt auch andere (unspektakuläre persönliche) Gründe, warum ich seltener ins Kino gehe.

Wenn ich mich im Bekanntenkreis umschaue, bin ich alles andere als ein Einzel- oder Sonderfall. Ohne einen besonderen Aufhänger beschäftige ich in diesem Beitrag mal mit der Frage, was sich für Film- und Serienfreunde in den letzten Jahren eigentlich geändert hat.


Bequemlichkeit vs. „Erlebnis Kino“

Der Konsum einer Serienfolge hat viele praktische Vorteile gegenüber dem Kinobesuch. Der Spaß dauert insgesamt maximal eine Stunde, ist (meist) günstiger, zudem auch spontan und alleine möglich. Je nach Anbieter und Serie kann man einfach mal zwei Folgen am Stück gucken (oder gleich die ganze Staffel), oder auch „STOP“ drücken, wenn das Telefon klingelt oder man müde ist.

Für den Alltag von berufstätigen Menschen sind das alles wichtige Argumente. Denn ins Kino zu gehen ist – selbst für einen verwöhnten Großstädter – mit vielen nervigen Zugeständnissen verbunden. Da laufen die Filme gerne eher zu spät (alles nach 20:00 Uhr). Denn weil ja erst noch mindestens eine halbe Stunde Werbung läuft, ist ein gut zwei Stunden langer Film (eher die Regel als die Ausnahme) dann erst gegen 23:00 Uhr vorbei, man selbst kurz vor Mitternacht zuhause. Das ist kein wirkliches Problem, aber je nach (kommendem) Arbeitstag eben auch oft nicht ideal. Will sagen, nicht bequem.

Immer mehr Menschen haben zudem keine Lust mehr, im Kino ihr Smartphone wegzulegen, oder unterhalten sich während des Films. Außerdem riecht es gerne mal nach Popcorn und diesen widerlichen „Käse“-Nachos. Die Preise sind hierzulande noch im Rahmen, trotzdem kostet ein Ticket im Vergleich oft mehr als ein Monat Netflix.


Konzentration im Kino vs. „Second Screen“ zuhause

Ein deutlicher Vorteil des Kinos wiederum liegt in der Qualität von Bild und Ton. Selbst im Nebensaal eines Neuköllner Indie-Kinos ist die Leinwand 5 mal größer und der Sound satter als auf dem gut ausgestatteten Heimkino. Diesen „Larger-than-Life“-Effekt wird man zuhause auch mit einem Beamer nicht erreichen. Ganz zu schweigen von dem gemeinsamen Erlebnis, mit vielen fremden Leuten gemeinsam einen Film zu schauen – mit den entsprechenden Reaktionen von kollektivem Staunen, Gelächter oder Tränen.

Sofern man selbst nicht zu den totalen Smartphone-Junkies gehört (und sich alle im Saal einigermaßen benehmen) bietet das Kino auch mehr Ruhe, sich auf einen Film einzulassen. Da kann auch ein Drama mal gemächlich starten und seine erzählerischen Stärken ausspielen, ohne dass man nach maximal 10 Minuten beginnt, Nachrichten zu schreiben oder die News zu checken.

Genau diese Freiheiten, die man auf dem Sofa durchaus geniesst, sorgen dafür, dass es kleinere, ruhige Filme schwerer haben als früher. Sie sind zwar überall verfügbar, doch erfordern ein Maß der Konzentration und (ein großes Wort, ich weiss) Hingabe, das kaum jemand aufbringt, der zuhause – am besten auf dem Laptop – einen Film anschmeisst. Das Ablenkungspotential von Smartphone oder Tablet ist oft zu groß, es fühlt sich auch nicht nach „großem Kino“ an. Viele gucken auch ganz absichtlich nur „nebenbei“. Das kann bei „The Waking Dead“ noch einigermaßen funktionieren, bei „Rectify“ braucht man so gar nicht erst anfangen.

Das kann ich auch wunderbar bei mir selbst beobachten, denn ich versuche mich deutlich seltener an kleineren Dramen als noch vor ein paar Jahren. Und bis zu dreistündige Schinken wie zuletzt etwa Martina Scorseses „Silence“ oder auch „Manchester by the Sea“ gucke ich oft in zwei Etappen – mache also quasi selbst eine Miniserie draus.


Markt & Angebot

Während es im Kino oft über Wochen und Monate keinen Film gibt, den ich dringend sehen möchte (zumindest nicht dringend genug, wenn ich die dazugehörigen „Hürden“ bedenke) ist das Angebot bei den Serien immens gewachsen. Aktuell sind bei mir etwa „Game of Thrones“ und die Fortführung von „Twin Peaks“ im Rennen um den Titel ‚Serie des Jahres‘, weiter geht es demnächst mit so unterschiedlichen Stoffen wie „Mr. Robot“, „Top of the Lake“ und „Westworld“. Zudem liefen 2017 bereits neue Staffeln von „Better Call Saul“, „Fargo“, „Hap & Leonard“ und „The Leftovers“, mit „Taboo“, „13 Reasons Why“ oder „The Handmaids Tale“ liefen auch spannende neue Serien an.

Zum Vergleich: ich war bisher dieses Jahr dreimal im Kino („Ghost in the Shell“, „Trainspotting 2“, „Logan“), ein Ausblick bis Weihnachten lässt darauf schließen dass noch etwa vier Besuche dazukommen. Das bestätigt den Abwärts-Trend der letzten Jahre, und meine persönliche Faulheit kann nicht allein Schuld sein.

Schließlich schaue ich die neuen Werke einer Reihe von Regisseuren weiterhin fast immer im Kino. Doch auch die sind zum Teil eher mit Serien beschäftigt (Steven Soderbergh hat „The Knick“ gedreht, Woody Allen „Crisis in 6 Scenes“, die Coens drehen aktuell eine Western-Miniserie für Netflix).


Hollywood und der „Mega-Blockbuster“

Eine Folge dieser Entwicklungen ist sicherlich Hollywoods Besessenheit mit unfassbar teuren Blockbustern und dem Recycling bekannter Stoffe. Neu ist das ist nicht wirklich, es wird aber extremer. Dass man eine erfolgreiche Filmreihe mal 5 Jahre liegen lässt, bevor ein neuer Teil erscheint, war früher üblich (zwischen „Stirb langsam 2“ und dem Nachfolger liegen fünf Jahre, zwischen den ersten beiden „Terminator“-Filmen gar sieben).

Neuerdings läuft es eher wie bei „Spider-Man“, da folgte auf die erste (neuere) Trilogie von 2002 bis 2007 gleich ein Reboot mit zwei Filmen (2012 und 2014), und dieses Jahr geht bereits der dritte Darsteller mit der dritten Filmreihe („Spider-Man – Homecoming“ als Teil der „Avengers“-Filme) innerhalb von 15 Jahren ins Rennen.

Disney schlachtet derweil das „Star Wars“-Franchise aus, und ist damit kommerziell unfassbar erfolgreich. Die Filme haben jedoch eher nostalgische Qualitäten, als dass sie irgendwie als „Zukunft des Kinos“ gelten könnten.

Produktionen mit kleinen und mittleren Budgets sind dagegen seltener geworden, weil die großen Studios darin kein Geschäft mehr sehen (bzw. keines mehr damit machen können), was definitiv schade ist. Andererseits werden Netflix, Amazon und Co diese Lücke vielleicht schon bald schließen, denn sie brauchen gute Inhalte, um Abonnenten zu halten/werben. Das schmeckt zwar den Kinobetreibern nicht (weil eine Auswertung dort nur noch eine untergeordnete Rolle spielt), hat aber auch Vorteile.

So müssen sich beim Geschäftsmodell mit Streaming-Abos nicht alle selbst produzierten Filme und Serien einzeln rechnen. Es geht auch ums Prestige, als Filmproduzent ernst genommen zu werden. Gerade bei Amazon geht es zudem darum, Konsumenten ins eigene Ökosystem zu ziehen und insgesamt mit Gewinn herauszugehen. Einzelne Sparten als „Lockvögel“ einzusetzen ist durchaus denkbar.

Es ist also durchaus möglich, dass so einige spannende Filme entstehen, bei denen sich talentierte Regisseure ohne großen kommerziellen Druck ausprobieren können. Oft sind die beiden Dienste aber auch nur als Produzenten dabei, um sich früh die weltweiten Streaming-Rechte von interessanten Stoffen zu sichern.


Schöne neue Serien-Welt

Was zunächst bei Kabelsendern wie HBO oder Showtime, inzwischen auch bei Netflix, Amazon und vielen anderen in den letzten Jahren an Serien produziert wurde, ist wiederum definitiv eine Bereicherung für die Zuschauer. Die Erzählform wurde mit den „Sopranos“ oder „The Wire“ ernster und anspruchsvoller, hat sich dabei u. a. vom Prinzip der ‚inneren Geschlossenheit‘ der einzelnen Folgen freigemacht (wie vorher nur „Twin Peaks“, der Mutter aller modernen Fernsehserien). Und damit auch neue Zielgruppen erschlossen. Nämlich den Teil des Publikums, der über Serien wie „Akte X“ oder „Ally McBeal“ nur verächtlich die Nase gerümpft hat und lieber ins Kino gegangen ist.

Ein unbestreitbarer Vorteil von Serien im Vergleich zu Filmen ist die größere Tiefe, mit der sie in ihre Stoffe und Figuren einsteigen können. „Mad Men“ porträtiert ein ganzes Jahrzehnt, „Game of Thrones“ leistet sich gut zwei Dutzend Hauptfiguren – in Filmen ist sowas schlicht nicht möglich.

Dass Kabelsender und Streaming-Dienste keine einzelnen Eintrittskarten verkaufen macht es wiederum leichter, auch mal ein Risiko einzugehen. Auf ein „Game of Thrones“ kommen bei HBO auch vier weniger erfolgreiche Shows, aber solange das Publikum insgesamt dabei bleibt geht die Rechnung auf.

Doch das Modell hat auch Nachteile. Etwa wenn Stoffe über Jahre weiter entwickelt werden, weil das Publikum begeistert ist – und die Serie dann kein passendes Ende findet, weil den Produzenten und Autoren die Ideen ausgehen. Oder sie sich nicht einig sind. So ging es mir zum Beispiel mit „Dexter“, einer herrlichen Serie, die etwa um die 5. oder 6. Staffel herum ein Ende hätte finden müssen. Stattdessen gab es noch weitere unbefriedigende Staffeln und schliesslich ein verkorkstes Finale. Bei „Weeds“ und „Californiation“ nahm die Qualität so stetig ab, dass ich das Ende jeweils nicht mal mehr erlebt habe.

Die Gefahr, dass eine Serie grandios beginnt, sich dann bei Erfolg schier endlos verlängert, nur um dann im erzählerischen Sande zu verlaufen, ist also immer gegeben. Ebenso können Shows, die einen begeistern, nach der ersten Staffel direkt wieder vorbei sein. Und dann ohne ordentliches Ende, weil die Produzenten gehofft hatten, sie könnten weitermachen. Die besten Serien der letzten Jahre zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie die Spannung (bzw. das Niveau) bis zum Finale halten konnten. So war es bei „Mad Men“, „Breaking Bad“, auch bei „Rectify“ oder „The Leftovers“.


Rezensionen sind Mangelware

Eine Schwierigkeit bei Serien ist es, diejenigen zu entdecken, die sich wirklich lohnen. Zwar gibt es Indikatoren wie die IMDb-Ratings, nicht jedoch eine mit der Filmkritik vergleichbare Rezensionskultur. Zwar geben sich die Journalisten alle Mühe, doch ihr Sujet macht es ihnen nicht gerade einfach. Einen Film hat man in zwei Stunden gesehen und kann ihn (relativ) abschließend bewerten.

Aber wie soll man das bei einer Serie tun, von der man nur vorab vier Folgen zur Kritik vorgelegt bekommt? Bis zum Ende der Staffel kann man mit der Kritik wiederum nicht warten, weil die Information dann veraltet ist (was nicht so ganz stimmt). So gibt es relativ wenige Websites, die vernünftige Orientierung bieten. Für Tipps zu diesem Thema bin ich dankbar, ab in die Comments damit. Selbst habe ich aktuell nur diesen hier.

Stattdessen haben sich die „Recaps“ zu einzelnen Folgen durchgesetzt, die am Tag nach der Ausstrahlung das Geschehen zusammenfassen und interpretieren, inzwischen auch oft mit einer Bewertung (ziemlich sinnlos, da man ja schlecht bewertete Folgen kaum weglassen kann und wird). Das sind oft lesenswerte Beiträge, aber sie helfen einem nicht dabei zu entscheiden, ob man eine Serie sehen will oder nicht.

Netflix oder Amazon wollen ihre Kunden verständlicherweise ohnehin lieber nach dem „Wer X mochte wird auch Y mögen“-Prinzip durch das eigene Programm lotsen. Die dafür verwendeten Algorithmen sind schon ziemlich gut, aber fischen eben nur im eigenen Teich.

Es bleibt also oft nur ausprobieren. Wer wissen will, welche Shows mir zuletzt besonders gefallen haben, der kann das hier nachlesen: