Filmkritik: Hugo Cabret (3D)

Hugo CabretMartin Scorsese, berühmt für Mafiafilme und Thriller wie „Goodfellas“, „Casino“ oder „The Departed“, wildert in seinem neuen Film im Terrain seines Kollegen Steven Spielberg. „Hugo Cabret“ ist die Geschichte eines Jungen, der im Paris der 30er Jahre seinen Vater verliert und sich allein in der Welt seinen Platz suchen muss. Zugleich verneigt sich Scorsese mit seinem Film vor den Ursprüngen des Kinos im Allgemeinen und vor dem Illusionskünstler und Filmpionier Georges Méliès. Zum ersten mal hat er dabei in 3D gedreht, was dem Film einige der schönsten Szenen beschert, die diese Technik bisher hervor gebracht hat.

Hugo (Asa Butterfield) landet nach dem Tod seines Vater in der Obhut seines Onkels Claude (Ray Winstone), eines Säufers, der im Pariser Bahnhof Montparnasse lebt und sich dort um die Uhrwerke der Bahnhofsuhren kümmert.  Als Claude verschwindet führt Hugo dessen Arbeit weiter, um nicht im Waisenhaus zu landen. Wenn er nicht gerade vor dem bösen Bahnhofs-Inspektor (Sacha Baron Cohen) flüchtet bastelt er an einer mechanischen Puppe, die sein Vater einst reparieren wollte. Dabei gerät er mit einem alten Spielzeughändler (Ben Kingsley) aneinander, bei dem er einige Teile ‚borgen‘ will. Der Alte nimmt ihm zur Strafe sein Notizbuch weg, in dem der Aufbau des kleinen Robotor-Vorgängers dokumentiert ist. Gemeinsam mit dessen Stieftochtet Isabell (Chloe Grace Moretz) macht Hugo sich daran es wieder in die hände zu bekommen.

Schon mit der ersten Kamerafahrt durch den Bahnhof wird deutlich, dass Scorsese die dritte Dimension als Erweiterung seiner künstlerischen Möglichkeiten begreift. Das verspielt-entrückte Szenario mit den vielen Tunneln und Gängen innerhalb des Bahnhofs erweckt er so eindrucksvoll zum Leben. Bei den Effekten geht es ihm nicht (oder nur ganz selten) darum, etwas auf das Publikum zufliegen zu lassen. Er konzentriert sich zum einen darauf, wundersame Geräte und Räume (allein die Panoramabilder von Paris sind das Eintrittsgeld wert) in ihrer ganzen Pracht zu zeigen, und den Zuschauer zum anderen mitten in die Menschenmengen der Bahnhofshalle zu versetzen. Zwar gibt es auch einige wenige echte Action-Szenen, etwa das Entgleisen eines Zuges, bei denen die Bewegung im Vordergrund steht. Aber es sind einfache Szenen, wie die, in der sich der Bahnhofs-Inspektor immer weiter zu Hugo herunter beugt bis man das Gefühl hat gleich seine Nasenspitze zu berühren, die am meisten Vergnügen bereiten.

Die Story von „Hugo Cabret“ ist in etwa zur Hälfte vor allem ein Kinder- und Abenteuerfilm. Vor allem im Mittelteil gibt es daher für erwachsene Zuschauer kleinere Längen, weil das reine Staunen und Erleben gegenüber der Story-Entwicklung im Vordergrund steht und auch die Grenze zum Kitsch manchmal beinahe überschritten wird. Doch wenn sich die Geschichte langsam der Auflösung nährt und sich mit den Filmen von Georges Méliès und dessem rätselhaften Verschwinden beschäftigt begeistert der Film sicher jeden Kinoliebhaber (jeden Alters). Da feiert Scorsese ein wahres Fest, das die Faszination des Kinos beschwört und ihr gleichzeitig auf rauschende Art und Weise ein Denkmal setzt.

Ben Kingsley ist in einer seiner schönsten Rollen zu sehen, sein unvergleichliches Charisma verleiht der Figur absolute Glaubwürdigkeit. Sacha Baron Cohen („Borat“) spielt den tragikomischen Kasper, zeigt dabei neben bekannten Grimassen auch emotionale Schauspielkunst. Asa Butterfield ist als noch unbekannter Kinderdarsteller vor allem authentisch, während Chloe Grace Moretz („Kick-Ass“) zum ersten mal nicht als Action- oder Vampir-Mädchen eingesetzt ist. Michael Stuhlbarg („A Serious Man“) zeigt erneut seine beeindruckende Vielseitigkeit und gehört weiterhin definitiv zu den Schauspielern, die ich gerne häufiger im Kino sehen würde.

Von allen Filmen, die dieses Jahr für einen Oscar in der Hauptkategorie nominiert sind hat mich „Hugo Cabret“ (neben „Midnight in Paris“) trotz der kleinen Schwächen und Längen am meisten überzeugt. Der Film schafft mit überzeugenden, aber nicht überschwänglichen Tricks eine wunderbare Welt, und vergisst darüber auch nicht, eine schöne und mitreissende Geschichte zu erzählen. Die 3D-Effekte sind ein Augenweide, ohne Selbstzweck zu sein, auch in Sachen Set-Design, Score und Kostüme macht der Film alles richtig. Mal sehen, ob Scorsese in Zukunft auch mal einen zeitgenössischen Stoff in 3D auf die Leinwand bringt. Abseits von Abenteuer-, Action- und Animationsfilmen (und auch da nur wenn sie sinnvoll eingesetzt ist) muss ich vom Erlebnis-Mehrwert dieser Technik erst noch überzeugt werden…

4/5