Filmkritik: Moonrise Kingdom

Moonrise KingdomDie Filme von Regisseur Wes Anderson spalten meist das Publikum. Die einen lieben seine spleenigen Figuren, die Entrücktheit des Geschehens, die pittoresken Sets und die stets irgendwie die Handlung kommentierenden Soundtracks. Die anderen können an den immer etwas künstlichen, von Klugscheißern, sonstigen Außenseitern und Neurotikern bevölkerten Filmen nichts finden. Letztlich wird das auch bei „Moonrise Kingdom“, Andersons erstem Realfilm seit „The Darjeeling Unlimited“ (2007), so sein. Doch der Film ergänzt die bekannte Mischung um eine neue Dimension – die unschuldige erste Liebe zweier unverstandener, 12-jähriger Einzelgänger. Die sind allerdings echte Anderson-Figuren und haben sich die Verschrobenheit der Erwachsenen bereits angeeignet.

„Moonrise Kingdom“ spielt auf einer kleinen Insel vor der Küste Neuenglands, man schreibt das Jahr 1965. Die scheinbare Idylle wird durch das Verschwinden von Sam, einem Waisenjungen und Sonderling, aus einem Pfadfinder-Ferienlager gestört. Der lokale Ober-Pfadfinder Ward (Edward Norton) schlägt beim lokalen Polizeichef Sharp (Bruce Willis) Alarm. Kaum geht die Suche richtig los verdichten sich die Anzeichen, dass Sam nicht alleine das Weite gesucht hat. Denn auch Suzy, Tochter des Anwalt-Ehepaars Walt und Laura Bishop (Bill Murray und Frances McDormand) hat sich aus dem Staub gemacht. Bevor die Erwachsenen das erfahren hat der Film dem Publikum die Zusammenkunft der beiden Ausreißer und ihre gemeinsamen ersten Schritte schon gezeigt.

Schon die ersten Einstellungen machen deutlich, wer da auf dem Regiestuhl Platz genommen hat. Die Kamera fährt durch ein malerisches Haus an der Atlantik-Küste, in dem Suzy mit ihren drei kleinen Brüdern lebt, unter der Obhut ihrer Eltern, die keine sehr harmonische Beziehung führen. Begleitet wird das von einer Schallplatte, die Kindern das Zusammenspiel eines klassischen Orchesters näher bringt. Wie alle anderen Schauplätze des Films ist auch dieser ein Symbol, ein Chiffre für damit verbundenen Bedeutungen und Geheimnisse. Während Sam und Suzy ihre neue Freiheit genießen erzählt „Moonrise Kingdom“ von den recht unbeholfenen Versuchen der älteren Semester (und Sams ehemaliger Pfadfinder-Kollegen, die sich da cleverer anstellen), die beiden Ausbüchser zu finden. Anderson setzt  dazu bei Telefonaten gerne Splitscreens ein und liefert einen Off-Erzähler (Bob Balaban), der nicht wirklich aus dem Off erzählt.

Ob die Jungschauspieler Kara Hayward und Jared Gilman ihren berühmten Kollegen die Schau stehlen oder umgekehrt ist so einfach nicht zu sagen. Die beiden unterhalten sich – ganz Anderson-typisch – nicht wie normale Teenager, und doch nimmt man ihnen ihre Gefühle und Motive sofort ab, was für die Story von essentieller  Bedeutung ist. Aber auch Willis (gerade weil er mit seinen prototypischen Rollen und seinem Image spielen darf), Murray, Norton, McDormand und später Tilda Swinton und Harvey Keitel schaffen es, ihre Figuren trotz knapp bemessener Spielzeit auf dem schmalen Grad zwischen Komik und tragischem Ernst zum Leben zu erwecken. Die Dialoge sind oft sehr witzig und gerne mal altklug, aber dabei auch mitfühlend und aufrichtig.

In vielerlei Hinsicht ist „Moonrise Kingdom“ klassisches Anderson-Kino. Die bereits erwähnten Markenzeichen sind fast alle präsent, mit Murray und (in einer Nebenrolle) Jason Schwartzman sind zudem zwei alte Bekannte aus früheren Filmen des Regisseurs dabei. Der Film wird Fans viel Spaß machen,  ist jedoch anders als „The Darjeeling Limited“ nicht nur more of the same. Man muss – ganz ähnlich wie bei Woody Allen – den speziellen Menschenschlag und die wiederkehrenden Motive und filmischen Mittel, besonders die oft künstlich-entrückten Sets bei Andersons Filmen mindestens gutheißen, um die Erfahrung genießen zu können.  Anderson outet sich mit „Moonrise Kingdom“ tatsächlich als Menschenfreund und blickt mit weniger Distanz und Ironie auf die meisten seiner Figuren. Die sind zwar keine Helden (auch von den jüngeren längst nicht alle), aber sie geben sich – wenn es drauf ankommt – immerhin wirklich Mühe.

4/5