Filmkritik: Sleeping Beauty

Sleeping BeautyDie australische Schauspielerin Emily Browning war letztes Jahr als Kampf-Püppchen „Baby Doll“ in Zack Snyders Trash-Fest „Sucker Punch“ zu sehen. Auch ihre neueste Hauptrolle ist wieder ein gewagtes Stück Kino. Browning spielt in „Sleeping Beauty“ die Studentin Lucy, die über eine Anzeige an eine ominöse Escort-Agentur gerät. Für die arbeitet sie nicht etwa als gewöhnliches Callgirl; es sind andere, sehr sonderbare erotische Dienstleistungen, die sie verrichtet. Das Regiedebut von Julia Leigh bewegt sich mit seiner Story weit abseits des Mainstreams, trotz viel nackter Haut ist „Sleeping Beauty“ kein konventionelles Erotikdrama geworden.

Von Anfang an weckt „Sleeping Beauty“ beim Publikum Unbehagen, Lucy ist schon in der ersten Einstellung sinnbildlich als menschliche Laborratte zu sehen. Später wird Agentur-Chefin Clara ihr Betäubungsmittel verabreichen und sie sich bewusstlos reichen, alten Männern überlassen – denen eines allerdings verboten ist: „No penetration“ lautet die Regel. Der Blick des Films auf seine Hauptfigur ist kühl und beobachtend, die Kamera macht hält auch bei ziemlich abstoßenden Szenen drauf und erspart dem Zuschauer (fast) nichts, was mit Lucy passiert.

Während ihr Leben als Luxus-Spielzeug wegen des dekadenten Settings (eindrucksvolle Villen und feinste Garderobe) in seiner Traumhaftigkeit ein wenig an „Eyes Wide Shut“ erinnert, spielt sich der Rest in einem äußerst real eingefangenen Umfeld ab. An der Uni scheint Lucy nicht viel Interesse und auch nicht viele Freunde zu haben, die WG-Kollegen setzen sie vor die Tür, ihr Job als Kopier-Assistentin langweilt sie. Bei zwei Ausflügen in eine Bar nimmt sie jeweils Männer mit nach Haus – freiwillig, und offenbar auch nicht gegen Bezahlung. Außerdem ist da noch ein alkoholkranker Freund, den sie hin und wieder auf ein Glas Wodka besucht; auch nicht unbedingt eine normale zwischenmenschliche Beziehung.

Was der Film mit seiner Geschichte eigentlich sagen will bleibt unklar, der merkwürdigen, abgründigen Faszination des Stoffes kann das aber nichts anhaben. Weil „Sleeping Beauty“ mit äußerst zurückhaltenden Stilmitteln erzählt ist (es gibt fast keinen Score, lange Einstellungen und bedächtige Schnitte prägen das Bild) und auch keinen Plot im herkömmlichen Sinne hat muss man zwangsläufig selbst überlegen, ob eine Botschaft in der Geschichte steckt. Will der Film zeigen, was die tiefsten Wünsche reicher, alter und impotenter Männer sind, wenn sie nicht beobachtet werden? Oder ist er eine Studie über die Einsamkeit und masochistische Ader seiner Hauptfigur, die langsam den Kontakt mit der Realität verliert?

Emily Browning jedenfalls meistert ihre schwierige Rolle gut, sie ist dabei wegen der spärlichen Dialoge über weite Teile auf ihre Mimik beschränkt, die gleichzeitig offen und rätselhaft ist. Auch in diesem Film spielt ihr makelloses, etwas entrücktes Äußeres ein wichtige Rolle, jedoch nicht so auf die Oberfläche reduziert wie bei „Sucker Punch“. Ihre Figur kommt – wie fast alles in diesem Film – aus dem nichts, ihre Vergangenheit wird nur angedeutet, das Ende lässt kaum einen Rückschluss auf ihren weiteren Lebensweg zu.

Visuell kann „Sleeping Beauty“ überzeugen, die meisten Einstellungen (innen wie auch außen, der Film spielt in und um Sydney) sind extrem sorgfältig komponiert. Die Nacktheit wird sicherlich vielen Menschen zu weit gehen, auch weil sie in ihrer Darstellung von der in Hollywood üblichen Hochglanz-Optik meist weit entfernt ist. Und es gibt einige Szenen, die dem Publikum mehr als nur ein leichtes Unbehagen bereiten. Der Film bietet definitive eine willkommene Abwechslung und eine einzigartige Perspektive, kommt aber auch mit ein paar Längen und dramaturgischen Schwächen daher. Interessant im besten Sinne für alle, die ihre Sehgewohnheiten gerne mal herausgefordert sehen.

3/5