Filmkritik: Detachment

DetachmentHenry Barthes ist Aushilfslehrer. Seine Gastspiele an verschiedenen Highschools in New York gehen nie länger als ein paar Wochen, und das ist kein Zufall. Denn Barthes, gespielt von Adrien Brody, ist innerlich rastlos, zweifelnd, und ohne ein klares Ziel vor Augen. Es geht ihm also ähnlich wie den meisten seiner Schüler in einem einkommensschwachen Bezirk in Long Island. Sie sind frustriert, ohne große Hoffnung und haben wenig Interesse an gewöhnlicher Bildung. „Detachment“ hätte ein Film sein können, wie wir ihn schon oft gesehen haben, in dem ein ideologischer Lehrer benachteiligte und vernachlässigte Kids mitreisst und ihnen Hoffnung und Mut für die Zukunft macht.

Doch Regisseur Tony Kaye („American History X“ hat anderes im Sinn, auch wenn viele der bekannten Zutaten in „Detachment“ vorkommen. Da ist die nette und attraktive Kollegin von Barthes (Christina Hendricks), eine Schulleiterin (Marcia Gay Harden), die mit ihrem Latein am Ende ist, ein erfahrener Kollege (James Caan), der sich ganz offen mit Pillen durch den Tag mogelt, eine Vertrauenslehrerin (Lucy Liu) am Rande des Nervenzusammenbruchs und eine übergewichtige, als Photographin sehr talentierte Schülerin, die von fast allen gehänselt wird. Kaye hat noch zwei weitere bittere Pillen für das Publikum parat. Barthes‘ Großvater, der in einem Altenheim seinem Ende entgegen geht, und die minderjährige Prostituierte Erica (Sami Gayle), die er aus Pflichtgefühl von der Straße holt.

Ein Gute-Laune-Film ist „Detachment“ also nicht geworden, eher ein verzweifelter Aufschrei, der die Zustände in Amerikas verarmten Städten und Vorstädten anprangert. Momente der Hoffnung sind in diesem Szenario selten, aber nicht unmöglich. Dass die Geschichte so erstaunlich gut funktioniert liegt vor allem an Adrien Brody, dessen Figur nicht in die gängigen Schubladen passt, in die Film-Lehrer so gerne gesteckt werden. Man nimmt ihn sein Engagement ab, aber auch seine Zweifel und die eigenen Dämonen. Brodys Kollegen liefern ebenfalls sehr gute Leistungen ab, spielen gekonnt um Klischees herum oder gegen sie an.

Nicht alles ist dabei gut gelungen, hin und wieder erschöpft sich der Film in altbekannten Szenen zwischen Lehrern und Schülern – doch die gehören eben natürlich dazu. Die Intensität, die immer wieder aufblitzende große Wut über die unhaltbaren Zustände, verleihen „Detachment“ erzählerische Kraft. Ebenso wie das schonungslose Drehbuch, das dem Publikum keinen alleinschuldigen Bösewicht präsentiert oder einen Klassenkampf herauf beschwört. Nicht nur die Gesellschaft als ganzes steht am Pranger, auch unfähige, vom eigenen Nachwuchs überforderte Eltern. Hier gewinnt niemand am Ende das Finale eines Debattierclubs oder gewinnt ein Stipendium in Harvard. Die Zukunft der Figuren liegt nicht außerhalb des portraitierten Milieus, sondern darin.

Ob der Film ein großes Publikum und Gehör finden wird muss bezweifelt werden. Regisseur Kaye hat seinen Ruf in Hollywood schon lange ruiniert, was seinen Filmen keine große Hilfe ist. Das Staraufgebot ist groß, der Film ein mitreißendes, schmerzvolles Drama, das auch visuell sehr gute Einfälle hat. Aber gesehen werden wird er – Ironie des Schicksals – wohl nur in Zirkeln, in denen man ohnehin die meisten Ansichten und Kritikpunkte teilt.

4/5