Filmkritik: We Need To Talk About Kevin

We Need To Talk About KevinVor ungefähr zwei Jahren war in einer Überschrift bei SpiegelOnline zum Thema schwer erziehbare Kinder zu lesen „Kevin ist kein Name, Kevin ist eine Diagnose“. Aber vielleicht ist es auch Zufall, dass sich die Macher des Indie-Dramas „We Need To Talk About Kevin“ diesen Namen ausgesucht haben. Tilda Swinton spielt Eva, John C. Reilly ihren Ehemann Franklin, die beiden haben gerade ihr erstes Kind bekommen. Weil der Film zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her pendelt ist dem Publikum früh klar, dass es mit der Familie kein gutes Ende genommen hat…

Eva ist (fast) die alleinige Hauptfigur im Erzählstrang der Gegenwart. Sie lebt in einem kleinen Haus, hat überall in der Stadt mit Anfeindungen vermeintlich fremder Menschen zu kämpfen und verbringt einen Großteil ihrer Zeit mit einer Flasche Rotwein auf dem Sofa. Das Publikum weiss längst, dass ihr Sohn Kevin daran Schuld ist, nur die Details sind nicht so recht klar. Während Eva sich um einen neuen Job und ein halbwegs normales Leben bemüht erfahren wir in Rückblenden, wie die Katastrophe ihren Anfang nahm.

So wird man Zeuge eines Erziehungs-Horrorfilms, der es in sich hat und von dem sanften Gemütern abgeraten werden muss. Von Anfang an herrscht eine beklemmende Stimmung, wenn Eva mit ihrem Sohn alleine ist. Ob als Kleinkind oder als Teenager, Kevins Verhalten gegenüber seiner Mutter ist extrem bösartig. Nur wenn Vater Franklin dabei ist scheint er einigermaßen einsichtig zu sein – was es für Eva nicht besser macht. Richtig grausam wird es, wenn ein Kinderarzt Kevin untersucht und Eva mit auf den Weg gibt, ihm fehle nichts, sie solle sich nicht zuviele Sorgen machen. Diesen Rat hat man in den Ohren, wenn man später die Bilder von Kevins Bluttat an der Schule mit ansehen muss.

Anders als zum Beispiel Gus Van Sants „Elephant“ ist „We Need To Talk About Kevin“ nicht daran interessiert, ein Highschool-Massaker wie Littleton aus der Sicht der oder des Täters zu erklären, es geht nicht um Killerspiele, Außenseiter in der Schule oder die dunklen Kräfte des Internets. Im Zentrum steht Mutter Eva, ihre ambivalenten (Schuld-)Gefühle gegenüber ihrem Sohn, dessen Taten und der Frage, ob und inwiefern sie selbst eine Mitschuld trägt. Hier wird es psychologisch etwas schwierig, denn Kevin kommt bereits als evil bastard auf die Welt. Der Film erklärt nicht wirklich, warum er so geworden ist, er stellt ihn als Tatsache hin.

Was die Inszenierung und die Schauspieler angeht ist „We Need To Talk About Kevin“ ein kleines Meisterwerk geworden. So schmerzhaft und intensiv erzählt er von einer grauenhaft schief laufenden Kindheit, dass man oft kaum hinsehen mag. Den größten Anteil daran haben Tilda Swinton, in deren Gesicht sich wahre Abgründe auftun, und Ezra Miller, der Kevin als Teenager spielt. Ganz am Ende, in einer Szene, mit der man längst nicht mehr gerechnet hat, findet der Film Bilder, die Evas ganzes Leiden in einer einzigen Einstellung zusammenfassen – und die sich durchaus als Standpunkt des Films zu seinem Geschehen lesen lassen.

4/5