Fahrenheit 9/11

George W. Bush ist nicht rechtmäßig Präsident der USA geworden, er pflegt zweifelhafte Geschäftsfreundschaften mit den Saudis, er ist als Geschäftsmann stets gescheitert, er hat den Irak zur Ablenkung, aus alter Feindschaft und natürlich wegen des Öls angegriffen. So sieht es aus in Michael Moores Köpfchen, und wer dem oben genannten nicht zustimmen mag, der wird „Fahrenheit 9/11“ höchstwahrscheinlich nicht viel abgewinnen können. Moore richtet sich mit seinem neuen Film gezielt an das urbane und gebildete Publikum, das seit Jahren die Basis seines Erfolgs bildet. Mehr als 100 Mio. Dollar trugen US-Amerikaner bereits nach drei Wochen an die Kinokassen, womit Moores Abrechnung mit der ersten Amtszeit Bush Juniors in den USA schon jetzt der bei weitem erfolgreichste Dokumentarfilm aller Zeiten ist.Es ist kein so stimmiger Film wie der Vorgänger „Bowling for Columbine“ geworden, vor allem, weil Moore sehr häufig grausame Bilder und unvorstellbare Sachverhalte mit derben, wenn auch häufig gelungenen Lachern mischt. In der kurzen Einführung wird die Posse der Wahl in Florida und die Proteste gegen Bushs Amtseinführung noch einmal amüsant zusammengefasst und Bush als ständig urlaubender Stümper-Präsident dargestellt. Der Ton ist schon beißend, aber bereitet den Zuschauer nur auf die Hauptattraktion vor ? die Angriffe des 11.09.01 und all das, was die Regierung Bush darauf folgen lies. Es geht nun hin und her, Bushs persönliche Geschichte und die seiner Kollegen Cheney, Rumsfeld und Konsorten wird thematisiert, die Lage im Irak nach der „Mission Accomplished“-Rede auf dem Flugzeugträger, es kommen Angehörige gefallener Soldaten ebenso zu Wort wie ein „Marine“, der sich weigert, noch einmal im Irak zu kämpfen.

Trotz einiger Längen und einigen sehr plumpen Vereinfachungen gelingen Moore einige starke Momente, etwa die Anhörung des Senats vor dem Amtsantritt Bushs, bei der 10 Mitglieder des Repräsentantenhauses ihren (wirkungslosen) Protest gegen die Wahl kundtun. Geschickt nutzt Moore die ohnehin schon beträchtliche Kraft der Nachrichtenbilder vom täglichen Krieg im Irak, die er im Kino auf der großen Leinwand noch einmal steigern kann. Im Kern sind es aber weniger die Bilder, sondern einige der relativ bekannten Fakten, die einen manchmal einfach nur koppfschüttelnd dasitzen lassen. Dass die Angehörigen von Kongressmitgliedern ihre Kinder vor dem hochpatriotischen Heldentod im Irak (oder anderswo) lieber bewahren wollen ist hinlänglich bekannt. Pikant wird diese Information aber erst dann, wenn man einen Blick auf die Soldaten und ihre Familien bekommt, die tatsächlich für die „gute Sache“ kämpfen und ihren Kopf hinhalten. Dazu präsentiert Moore immer wieder Interview-Fetzen mit Bush, Cheney und Rumsfeld, die Fakten verdrehen, erfinden und teilweise einfach nur noch Mist erzählen. Die drastischen Bilder von Verletzten und toten Zivilisten in Baghdad, kontrastiert mit Rumsfelds Geschwafel über die „menschliche Dimension der Kriegsführung“ erreichen die gewollte Wirkung problemlos.

Was können die Angehörigen der Soldaten, die im Irak eine massive Bedrohung für die Nation bekämpfen sollen, von einem Verteidigungsminister erwarten, der auf die Frage nach den herbeigeredeten „Weapons of Mass Destruction“ antwortet: „We know where they are, in and around Baghdad, Basrar, east, west, north and south.“? Setzen, sechs. Auch Bush Juniors Image als Freund der Soldaten bekommt Risse, wenn man erfährt, dass er für die Kürzung des Soldes seiner Truppe eintritt. Auch nicht gut macht es sich, dass der Familie eines gefallenen Soldaten dessen letzter Sold abzüglich des Lohnes von fünf Tagen ausbezahlt wird ? schließlich fiel er am 26. Mai, fünf Tage vor Monatsende. Moore lässt ausgewählte Soldaten selbst zu Wort kommen und auch ihre Aussagen sind häufig erschütternd. So antwortet ein Offizier auf die Frage, was er Herrn Verteidigungsminister Rumsfeld sagen würde, wenn der da wäre, mit „Ich würde ihn auffordern, zurückzutreten.“. Ebenfalls unter Beschuss nimmt der Film die Medien, neben den Anschuldigungen gegen die Regierung der vielleicht bedeutendste Vorwurf, der leider für meinen Geschmack erheblich zu kurz kommt. Dafür wird der Ratifizierung des „Patriot Act“ (in neuer Weltrekordzeit) ein interessantes und komisches Kapitel gewidmet.

Weniger überzeugend ist „Fahrenheit 9/11“ in der Darstellung eines völlig friedlichen Vorkriegs-Irak und einigen weiteren unnötigen Verzerrungen der Wirklichkeit. Trotz dieser Mängel ist der Film jedoch eine ernstzunehmende Anklageschrift geworden, der sich die Regierung Bush im Falle einer Widerwahl stellen werden muss. Reizthema ist vor allem der Irak, und die Frage nach der Dauer des „Abenteuers“. Dem politisch interessierten Publikum bietet sich eine interessante Grundlage für endlose Diskussionen, und durch die zahlreichen Slapstick-Einlagen wird für die Unterhaltsamkeit des Ganzen ausreichend gesorgt. Wer müsste nicht lachen, wenn zwischen all den erschreckenden Erkenntnissen über die Fehler der Regierung plötzlich die Barbie-Puppe Britney Spears auftaucht, mit dem hemmungslos unbedarften Kommentar, man solle dem Präsidenten bei allem, was er so tut, einfach vertrauen. Doch neben dem Gelächter macht sich da noch etwas anderes breit – schiere Fassungslosigkeit.
5/5