Filmriss goes Bücherriss

Warum ich hier jetzt auch noch über Bücher schreibe weiss ich selbst nicht genau. Die Idee trage ich schon länger mit und in mir herum. Man könnte die Sache auch umdrehen, und fragen, warum ich erst jetzt damit anfange – schliesslich ist Lesen ja kein neues Hobby. Egal. Der Corona-Lockdown hat dazu geführt, dass ich tatsächlich mal was geschrieben habe.

Los geht es hier mit einigen kurzen Beiträgen zu den Büchern, die mir im laufenden Kalenderjahr vor die Linse gelaufen sind. Danach folgen vielleicht noch ein paar Listen bzw. Beitragsserien meiner Lieblingsbücher der vergangenen drei Jahrzehnte.

Noch weniger als bei Filmen und Serien geht es mir dabei um klassische Kritiken. Die würden mich in jeder Hinsicht überfordern. Es sind eher meine Impressionen, die ich hier in sehr kurzer Form teilen möchte. Wenn für den ein oder anderen Leser hier eine Anregung heraus springt ist das natürlich auch Teil der Idee.

Bei der ganzen Sache bitte nicht über die vielen englischen Titel wundern. Die Werke englischsprachiger Autoren lese ich gern im Original, das ist wie bei den Filmen und Serien eine Angewohnheit aus meinem Studium. Es stehen deutlich mehr Romane als Sachbücher auf meinem Speiseplan, von Gedichten oder Comics (Entschuldigung, ich meine natürlich “Graphic Novels”) lasse ich traditionell komplett die Finger.

Ob ich irgendwann mal eine Liste meine “All-time”-Favoriten wage, weiss ich noch nicht. Wahrscheinlicher sind wie oben erwähnt Listen nach Jahrzehnten… Auch eine Liste mit meinen Lieblingskrimis “der letzen 100 Jahre” kann ich mir gut vorstellen, die existiert aber bisher nur äußerst vage in meinem Kopf.

Nun denn. Über Feedback freue ich mich, über Kommentare sowieso, dasselbe gilt für Buch-Empfehlungen – sofern die irgendwie einen Bezug zu den erwähnten Werken haben.

The Chestnut Man (Soren Sveistrup, 2019)
Hin und wieder muss es mal ein zeitgenössischer Krimi sein. In der NY Times wurde dieser hier empfohlen (streng genommen zusammen mit 10 anderen skandinavischen Krimis). Weil der Autor auch das Drehbuch zu “The Killing” verfasst hat, und ich das US-Remake der dänischen Serie sehr mochte, habe ich mal zugegriffen. “The Chestnut Man” ist ein ziemlich klassischer Serienkiller-Stoff, bei dem eine Mordserie in der Gegenwart bald in die Vergangenheit führt. Die Charaktere sind sehr rund geworden, und die Story sorgt schnell für Spannung. Die Auflösung der recht komplex angelegten Story ist dagegen weniger überzeugend. Wenn ich als Krimi-Laie nach 80 von 500 Seiten glaube, den Killer ausfindig gemacht zu haben (und dann auch noch richtig liege), dann haben all die falschen Fährten wohl nicht viel gebracht. Dem Lesevergnügen hat das aber logischerweise erst am Ende etwas geschadet.

Ausser Sich (Sasha Marianna Salzmann, 2017)
Ich weiss gar nicht mehr, wo ich gelesen habe, dass sich dieses Buch lohnen soll. Ist auch egal, Hauptsache die Information war korrekt. Und so ist es auch, Salzmanns komplexer Roman ist fast schon eine Meditation über Herkunft, Identität und Selbstfindung. Das liest sich aber keineswegs so verkopft wie es klingt, das Buch ist voller spannender Schilderungen außergewöhnlicher Geschichten, die locker ein Jahrhundert umspannen. Einen roten Faden und ein emotionales Zentrum (oder sind es zwei?) gibt es ebenfalls – nicht aber eine einfache “Moral von der G’schicht”.

The Quick Red Fox (John D. McDonald, 1964)
Der vierte Roman der Travis McGee-Reihe ist in Sachen Krimi-Plot nur bedingt überzeugend. Das Setting ist jedoch wunderbar (McGee ist mächtig viel auf Achse, quer durch die USA), und der Roman reich an lakonisch-philosophischen Passagen, die MacDonald so lesenswert machen. Daher sind die beiden nächsten Bücher bereits geordert und stehen sehr bald auf dem Speiseplan.

All the Pretty Horses (Cormac McCarthy, 1993)
Das dritte Buch von McCarthy, dass ich bisher gelesen habe, ist gleichzeitig der erste Teil der “Border Trilogy”. Die Geschichte um zwei junge US-Amerikaner, die in Mexiko ihr Glück suchen, hat mich sprachlich sehr an Hemingway erinnert (Fachleute sind sich dagegen einig, dass McCarthy eher nach Faulkner klingt, aber von dem habe ich nur mal im Studium was gelesen). Inhaltlich ist es ein weiterer rauher Western, der aber weit weniger blutig daherkommt als “Blood Meridian”. Das Tempo ist gemächlich, und ich habe eine Zeit gebraucht, mich einzulesen (komischer Begriff), aber am Ende hat mich die Story tatsächlich gepackt.

Killers of the Flower Moon (David Grann, 2017)
Sachbücher lese ich selten, aber dieses hier habe ich verschlungen. Es handelt von einer mysteriösen Mordserie an ‘Native Americans’ in Oklahoma vor knapp 100 Jahren. Ein finstere, uramerikanische Geschichte um Öl, Macht, Gier und Rassismus, die sich lebendig vor dem Leser ausbreitet und nicht selten unter die Haut geht. Martin Scorsese plant eine Adaption fürs Kino (bzw. für den Streaming-Anbieter Apple TV+ – ob der Film auch im Kino läuft ist unklar), mit Leonardo DiCaprio und Robert DeNiro in den Hauptrollen.

Consider Phlebas (Iain M. Banks, 1987)
Der erste Band einer Weltraum-Seifenoper, die ich mangels Belesenheit im Genre am ehesten mit Isaac Asimovs “Foundation”-Reihe vergleichen würde. Inhaltlich hat es mir Spaß gemacht, wobei sich Banks für meinen Geschmack bei der Schilderung von Action & Bewegung einfach zu viel Zeit nimmt. Der philosophische Unterbau der Reihe bzw. des darin geschilderten intergalaktischen Krieges könnte noch spannend werden. Aktuell bezweifle ich jedoch, dass ich mir die übrigen neun (!) Bände der Reihe allzu bald vornehmen werde…

The Power and the Glory (Graham Greene, 1940)
Hin und wieder muss ein Klassiker nachgeholt werden, Anfang des Jahres war dieser hier dran. Doch obwohl mir den Roman gefallen hat, musste ich ein bisschen kämpfen. “The Power and the Glory” hat viele kluge Dinge zu sagen, ist aber ein bisschen zäh, und kommt gerade im Vergleich mit vielen von Greenes späteren Werken auch eher humorlos daher.

The Schooldays of Jesus (J. M. Coetzee, 2016)
Der Vorgänger “The Childhood of Jesus” hat mir gut gefallen, nun habe ich den zweiten und mittleren Teil (“The Death of Jesus” kam 2019 heraus) gelesen. Davon waren die ersten 100 Seiten so öde, dass ich es beinahe weggelegt hätte. Zum Glück kommt die Story mit einem ominösen Mord und Motiven, die mich an Camus erinnert haben, noch einigermaßen in die Gänge. Reicht insgesamt knapp, um den letzten Teil auf meiner amazon-Wunschliste stehen zu lassen…

Scharnow (Bela B. Felsenheimer, 2019)
Nach “Unterleuten” der zweite Roman über die Brandenburger Pampa, den ich jüngst gelesen habe. Definitiv witzig bis aberwitzig, aber so richtig bin weder mit den Figuren noch mit dem Humor warm geworden…

The Infinite Game (Simon Sinek, 2019)
Der erste Manager-Ratgeber, den ich in meinem Leben gelesen habe. Nicht weil ich plötzlich eine Firma zu managen hätte, sondern weil mir der titelgebende Gedanke gefiel: Dass unser (Geschäfts)Leben oft nicht aus Spielen mit Anfang, Ende und festen Regeln besteht. Und es entsprechend auch selten im klassischen Sinne zu einem Zeitpunkt X etwas zu ‘gewinnen’ gibt. Natürlich steht noch ein bisschen mehr drin, und das lohnt sich auch für Menschen ganz ohne Management-Ambitionen.

Deacon King Kong (James McBride, 2020)
Eine wohlwollende Rezension in der New York Times zu einem Zeitpunkt, an dem ich nichts mehr zu lesen hatte, führt mich zu diesem Roman. Die Titelfigur ist ein tragikomischer Antiheld, der anno 1969 in einem Armenviertel in Brooklyn eine Mischung aus Dorftrottel, Heiliger Irrer und Mädchen für alles verkörpert. Drogendealer, Lokalkolorit und jede Menge Gesellschaftskritik sind die großen Themen dieses wunderbar humorvollen Buches.

The Way Some People Die (Ross Macdonald, 1951)
Als Jugendlicher habe ich einige Krimis um den Privatdetektiv Lew Archer gelesen, und damit kürzlich wieder angefangen (diesmal im Original). Chronologisch natürlich, Ordnung muss sein. Vorläufiges Urteil: Herrlich lakonische und immer spannende Zeitreisen ins Kalifornien der Nachkriegszeit. Im Duell mit dem anderen MacDonald (John D.) und dessen Travis McGee-Reihe (die gut 10 Jahre später begann und meistens in Florida spielt) bleibt aber – nach jeweils drei gelesenen Romanen – erstmal nur der zweite Platz.

Drop City (T. C. Boyle, 2003)
Von T.C. Boyle habe ich irgendwann Ende der 90er “Budding Prospects” gelesen, welches von einem wenig erfolgreichen Versuch, Pot anzubauen, handelt. Passenderweise habe ich damals selbst viel gekifft und kann mich an nicht viel mehr erinnern. Nun fiel mir “Drop City” in die Hände. Eine Hippie-Kommune wandert darin anno 1970 von Kalifornien nach Alaska aus, wo sie auf Einheimische trifft, die nicht unbedingt auf einen Haufen drogenvernebelter Blumenkinder gewartet haben. Die Figurenzeichnung ist sehr gelungen, es darf ordentlich gelacht werden, aber auch die ernste Auseinandersetzung mit den Idealen von “Flower Power” hat mir gefallen. Das Ende ist zwar keine komplette Bruchlandung, hat mich aber doch ein wenig enttäuscht.

Camino Island (John Grisham, 2017)
Als ich zufällig sah, dass Justizthriller-König John Grisham (“Die Firma”, “Die Akte”) einen Krimi ohne jeden (naja, fast ohne jeden) Bezug zu Anwälten geschrieben hat, war ich neugierig genug, um zuzugreifen. “Camino Island” kreist um den Raub der Original-Manuskripte von F. Scott Fitzgeralds sämtlichen Romanen aus der Bibliothek von Princeton. Eine erfolglose Schriftstellerin wird angeheuert, um herauszufinden, ob ein charmanter Buchhändler in Florida mit der Sache etwas zu tun hat. Grisham hat sichtlich Freude an seinem bunten Szenario, entwickelt eine heitere Story, deren latente Märchenhaftigkeit für kurzweilige Unterhaltung sorgt. Die vielen kleinen Abstecher in den Literaturbetrieb runden die Sache wunderbar ab.

The White Angel (John McLachlan Gray)
Vancouver, anno 1924. Durch den Tod einer Nanny kommen die politischen und gesellschaftlichen Abgründe der Stadt (beinahe) ans Tageslicht. Rassismus, Korruption, die Wunden des Ersten Weltkriegs – “The White Angel” ist weit mehr als ein Krimi. Was nicht heisst, dass es dem Roman mit seinen herrlichen Figuren und Dialogen an Spannung mangelt. Im Gegenteil, hier verbinden sich Anspruch und Unterhaltung auf höchstem Niveau. Gut möglich dass ich mir noch mal ein anderes Werk von John McLachlan Gray vornehme…