Notre Jour Viendra (Our Day Will Come)

Der rothaarige Jugendliche Remy (Olivier Barthelemy) ist ein einsamer Außenseiter, der mit seiner Umgebung auf dem Kriegsfuß steht. Zuhause gibt es ständig Ärger mit Mutter und Schwester (ein Vater gehört nicht zur Familie), im Sportverein ist wird er gehänselt. Seine „Freundin“ kennt er nur über das Internet und SMS-Nachrichten, „kennengelernt“ hat er sie per „World of Warcraft“. Als Remy endgültig der Kragen platzt und er im Streit von zuhause verschwindet schließt sich ihm der Psychotherapeut Patrick (Vincent Cassel) an. Selbst frustriert, gelangweilt und mit seinem Dasein unzufrieden nimmt er Remy unter seine Fittiche und startet mit ihm eine Odyssee durch Frankreich.

„Notre Jour Viendra“ (zu deutsch etwa: „Unser Tag wird kommen“) folgt seinen beiden Hauptfiguren auf deren scheinbar zielloser Reise durch karge Landschaften an der französischen Atlantikküste. Patrick stachelt Remy an, sich selbst zu erkennen, verwickelt ihn in Schlägereien, bringt ihn mit Mädchen zusammen und stellt dabei seine Sexualität in Frage. Remy steigert sich immer mehr in passiv-aggressives Verhalten, wodurch die gemeinsame Reise immer haarsträubender und gefährlicher wird. Die Figurenzeichnung ist dabei leider ein wenig dünn – beide Charaktere sind durchaus interessant, doch die Inszenierung ist unrund, die Anschlüsse sind löchrig, die Entwicklung nicht immer nachvollziehbar. Das Motiv der Rothaarigkeit, gleichzeitig Merkmal der Andersartigkeit und „Beweis“ für die Zusammengehörigkeit der beiden Männer, wird dabei zudem etwas plump eingesetzt.

Einige starke Szenen hat der Film dabei trotzdem zu bieten. Es geht ihm weniger um konkrete Probleme der Figuren, wie mir scheint, sondern eher um eine kritische Zustandsbeschreibung der zivilisierten Welt. Die Grenze zwischen geordneter Existenz und einem Leben als Outlaw/Aussteiger wird als schmaler Grad präsentiert, die Realität erscheint als blasse, nicht lebenswerte Kulisse, in der kein echtes Erleben möglich ist. Abgesehen von den zwei Anti-Helden wirken (fast) alle Figuren wie teilnahmslose Schlafwandler oder gar Zombies. Die Überflussgesellschaft – sinnbildlich in einer Szene in einem leeren Supermarkt dargestellt – hat zu geistiger Leere und Langeweile geführt. Das zumindest wäre ein Fazit, das der Film zulässt.

Der Film steigert das gezielt unmoralische, provokante Verhalten von Patrick und Remy bis hin zum völligen Wahnsinn, wobei die Beziehung der beiden untereinander nie klar definiert wird. Letztlich bleiben mehr Fragen offen als beantwortet werden (etwa die Frage, was Patrick dazu bewogen hat seine Existenz urplötzlich aufzugeben), was nicht nur am holprigen Drehbuch liegt, sondern wohl so gewollt ist. Es sind letztlich die starken Leistungen der Hauptdarsteller, die aus  „Notre Jour Viendra“ ein sehenswertes Road-Movie machen – sehenswert für all jene, die sich bereitwillig auf das recht nihilistische Geschehen einlassen mögen.

3/5