A history of violence


Liebende Familienväter, die durch tragische Umstände zu finsteren Killern werden gibt es reichlich im modernen Kino. Da wandert Nicolas Cage in Con Air in den Bau, wenn er seine Familie beschützt, Tom Jane wird zum Punisher, als die seine von Gangstern ausgelöscht wird. Die Familie ist eben heilig und ein Angriff auf die Liebsten rechtfertigt im Actionfilm nahezu jede drastische Anwendung von Gewalt. Nun haben diese Filme meist nur sehr wenig mit der Realität zu tun. In David Cronenbergs A History of Violence spielt Viggo Mortensen den sehr realen Kleinstadt-Dad, doch nichts deutet zunächst auf eine Bedrohung seiner Familie hin. Die Welt ist noch in Ordnung, die Familie intakt, wie der Film in den ersten Szenen der von Albträumen geplagten Tochter deutlich macht.

Es ist ein unglücklicher Zufall, der die heile Welt von Tom Stall, seiner Frau Edi und ihren beiden Kindern Jack und Sarah bedroht. Als Tom eines Abends sein Diner an der Hauptstrasse schließen will, kommen zwei fiese Gestalten herein, und mit ihnen bricht die rohe Gewalt ins Leben der Kleinstadt ein. Mit gezogenen Waffen und sadistischem Grinsen drohen sie den Laden auseinander zu nehmen. Nur Sekunden später liegen sie mausetot da, präzise und brutal getötet von Tom. Als Held in der Presse gefeiert kehrt er ins traute Heim zurück, doch eine Rückkehr zur Normalität findet nicht mehr statt. Stattdessen kreuzen, durch die Medien alarmiert, Mafiosi von der Ostküste im beschaulichen Idaho auf, die in Tom einen Ex-Gangster namens Joey Cusack auszumachen glauben.

Wer also ist Tom Stall wirklich? Wer oder was war er vorher? Viggo Mortensens Spiel lässt anfangs darauf hoffen, er möge der friedliebende Kerl der ersten Filmminuten sein, und doch spricht sein Verhalten in Ausnahmesituationen eine ganz andere Sprache. Cronenberg setzt die kurzen, überfallartigen Actionsequenzen mit Verweisen auf die Polizei-Filme Takeshi Kitanos in Szene, ansatzlos, extrem blutig und ohne Untermalung von Filmmusik. Die Toten und Verwundeten sind grausam entstellt, mit schockierender Wirkung auf Augenzeugen und Publikum. Hier bringt die Gewalt keine bequeme Lösung, zu effizient und schnell werden die Menschenleben ausgelöscht, ohne dass sich danach je ein dauerhaftes Gefühl von Befreiung oder überstandener Not einstellen würde. Toms Bemühungen, den Schein aufrecht zu erhalten sind zum Scheitern verurteilt. Zu stark sind die Kräfte, die ihn mit seiner verdrängten Vergangenheit konfrontieren wollen. Seine Familie ist in Gefahr, eine Flucht unmöglich. Die Versuche des örtlichen Sheriffs, die Ordnung wieder herzustellen, wirken lächerlich angesichts der Entschlossenheit und kriminellen Energie der ungebetenen Besucher. Und selbst in Toms Familie kehren Gewalttaten ein, die noch Tage vorher undenkbar gewesen wären.

Durch die genaue und stimmige Inszenierung findet sich das Publikum hier auf der Seite eines unglaublich brutalen Killers wieder. Dass er dem Unterweltdasein abgeschworen hat, erhebt ihn über seine Gegner, aber viel wichtiger für sein Überleben ist, dass er der gefährlichere Killer ist. Wenn Tom am Schluss nur noch eine Möglichkeit sieht, seine Haut zu retten, nimmt das grotesk übersteigerte Gemetzel schon komische Züge an, so überspitzt entladen sich die Streitigkeiten vergangener Zeiten. Neben dem groß aufspielenden Mortensen agieren auch die anderen Darsteller, unter ihnen Maria Bello, Ed Harris und Wiliam Hurt, sehr überzeugend. Die von ihnen erzeugte Nähe zur Realität ist es, die das Szenario so ungeheuer spannend macht. Sicher hat Cronenberg hier kopflastiges Kino geschaffen, der Experimentcharakter von A History of Violence steht dabei aber der Unmittelbarkeit des Geschehens nicht im Weg. Der Film umgeht die Frage nach Toms/Joeys wahrer Vergangenheit und seiner Läuterung bis auf wenige Sätze. Er zeigt ihn vielmehr als positiv schizophrenen, der nur in der Not aus der Rolle des Normalbürgers ausbricht, um eben diese wieder spielen zu können. Dass dieser Spagat so gut wie unmöglich ist, machen die letzten Szenen auf prägnante Weise deutlich. Welcher der beiden Welten Tom letztendlich zuzurechnen ist lässt Cronenberg konsequenterweise offen.

9/10