Elephant

Kaum ein Thema ist in den letzten Jahren so ausgeschlachtet worden wie die Highschool-Massaker von Littleton, Erfurt und all den anderen Orten, an denen Teenager in ihrer Schule Amok gelaufen sind. Vom schlechten Einfluß einiger Computer-Spiele war schnell die Rede, in den USA wurde Marylin Manson an den Pranger gestellt und natürlich bekam auch Hollywood für seine vielen Gewalt- und Horrorstreifen von selbsternannten Sittenwächtern einiges zu hören. Regisseur Gus Van Sant, bekannt geworden durch „My Private Idaho“ und mit „Good Will Hunting“ und „Forrester: Gefunden“ zuletzt auch im Mainstream aktiv, bringt mit „Elephant“ ein gewagtes Portrait einer solchen Tragödie auf die Leinwand.Mit minimalem Budget, Laiendarstellern und einer Finanzierung durch den amerikanischen Pay-TV-Sender HBO zeichnet der Film das Bild einer beliebigen US-Highschool und begleitet einige Schüler in der letzten Stunde vor dem Terror. Zwischen Mensa und Football-Training, Fotowerkstatt und Bücherei-Alltag verleben die Kids einen ganz normalen Schultag. In langen Kamerafahrten und mit wenigen Schnitten lernt der Zuschauer ein paar Schüler näher kennen, ohne dass allerdings eine absichtliche Dramaturgie den dokumentarischen Charakter zerstören würde.

Van Sant verzichtet auf einen Score ebenso wie auf die meisten anderen stilistischen Hilfsmittel, die das Bild eines teuer ausgestatteten Spielfilms prägen. Die weitläufigen Gänge der Schule, der große Sportplatz, all das wirkt völlig authentisch. Obwohl „Elephant“ unter den Schülern auch einige Außenseiter findet, zeichnet der Film ein durchaus positives Bild der Schule, weder Prügeleien noch Waffen oder Drogen haben den Alltag erobert, auch die wenigen Auftritte von Lehrern signalisieren keine Ohnmacht oder übertriebene Härte.

Parallel zum normalen Schultag zeigt der Film die Vorbereitung der beiden Attentäter Eric und Alex auf ihren grausamen Plan. Die beiden Jungen werden als eigenwillige Außenseiter portraitiert, jedoch ohne dabei ihre familiären und psychologischen Hintergrunde näher auszuleuchten. Während der eine auf dem Laptop mit einem Ego-Shooter beschäftigt ist spielt der andere Beethoven auf dem Klavier, schließlich sitzen sie eher gelangweilt vor einer Nazi-Dokumentation, um dann vom Postboten die im Internet bestellte automatische Handfeuerwaffe in Empfang zu nehmen. Obwohl durchaus mit einigen Klischees versehen, führt der Film die Täter nicht als verdorbene Psychopathen ein, denn wenngleich ihr Verhalten ein wenig ungewöhnlich ist, so liefert es noch längst keine schlüssige Erklärung für ihr späteres Tun.

Der Schrecken beginnt fast zufällig, wenn Alex und Eric schwer bewaffnet die Highschool durch einen Nebeneingang betreten und auf ihrem Weg durch das Gebäude wahllos das Feuer auf ihre Mitschüler eröffnen. Die Bilder wirken dabei umso eindringlicher, weil auch hier keine wilde Musik das Treiben unterstreicht, es gibt keinen Soundtrack des Todes, nur die grausam real klingenden Schüsse und das ungläubige Geschrei der Opfer. Kurz erscheint es, als wolle „Elephant“ doch noch mit einem Heldentypen aufwarten, doch auch diesen Gefallen tut Van Sant seinem Publikum nicht. So endet der Film wie er anfing aus der Perspektive der Opfer, die die Katastrophe fassungslos mit ansehen müssen – sofern sie sie überleben können.

Gerade weil „Elephant“ keine schnellen Erklärungen liefert, regt der Film sehr zum Nachdenken an. Die von den sensationslüsternen Medien vielfach verbreiteten Bilder von Polizei-Teams, Leichen und trauernden Angehörigen und die reißerischen Stories über die jugendlichen Täter werden um eine wichtige Perspektive ergänzt. Statt einer minutiösen Schilderung der Vorgänge entsteht ein rein betrachtendes Bild, das nicht kommentieren will und stattdessen die Sinn- und Wahllosigkeit dokumentiert, die das Geschehen so unfassbar macht. Die gedankenlose Gewaltbereitschaft ist ebenso verstörend wie vertraut, wobei die Ballerfreude der zwei Täter gar nicht mehr erklärt werden muss, so sehr hat man sich – in den USA – an den Gebrauch von Schusswaffen gewöhnt. Das Überschreiten der Schwelle vom Büchsenschießen zum Amoklaufen rückt ins Zentrum, und die Frage danach stellt „Elephant“ äußerst eindringlich.

5/5