Filmkritik: „Melancholia“ [Spoilers]

Dass im Kino der Weltuntergang droht ist eigentlich keine Seltenheit. Doch meist wird die Katastrophe noch irgendwie gestoppt, oder ist wenigstens auf eine Erdhalbkugel begrenzt – zumindest in den Filmen von Roland Emmerich („2012“, „The Day After Tomorrow“) läuft das so. Nun verbindet den dänischen Regisseur Lars von Trier („Das Fest“, „Dogville“) herzlich wenig mit Emmerichs Hollywoodschinken, und in seinem Endzeit-Drama „Melancholia“ ist bereits nach dem Prolog klar, dass es kein Happy-End geben wird.

„Melancholia“ ist nicht nur der Name des Films (und eines schwermütigen Geisteszustandes), sondern auch der eines Planeten; eines Planeten, der aus den Tiefen des Weltalls kam und dessen Bahn ihn gefährlich nah an die Erde heran führt. Im ersten Teil des Films („Justine“) ist er ein unbekannter, leuchtender Punkt am Abendhimmel, der nur Justine (Kirsten Dunst) auffällt. Am Abend ihrer Hochzeit auf dem abgelegenen Landhaus ihres reichen Schwagers John (Kiefer Sutherland) ist das Brautpaar arg spät dran. Die Feierlichkeiten beginnen schon unter größeren Anspannungen seitens der Beteiligten.

Es folgt ein Stunde Film, die nah dran ist an von Triers „Das Fest“, inklusive Handkamera und (familiärer) Streitigkeiten, die sich aus dem Verborgenen ihren Bann treffen. Doch es gibt eine zusätzliche Dimension – Justines merkwürdiges Verhalten, ihre innere Unruhe – die der Film dem Publikum nicht mit herkömmlichen Diagnosen erklären will. Am Ende der Hochzeitsnacht steht Justine vor den Trümmern ihres Lebens.

Familienfeste hat man im Kino schon viele gesehen, aber von Trier versteht es viele interessante – und allesamt sehr gut gespielte – Figuren zu entwerfen. Unter ihnen ist Charlotte Gainsbourg als Justines Schwester Claire, die im zweiten, nach ihr benannten Teil des Films in den Fokus rückt. Auch er spielt auf dem luxuriösen Anwesen, auf dem Claire mit Ehemann John und ihrem kleinen Sohn Leo lebt. Justine ist auch bei Ihnen, ihr Zustand hat sich noch verschlimmert und belastet die kleine Gemeinschaft – die dann vom Regisseur mit der ultimativen Katastrophe konfrontiert wird.

Der kleine Punkt am Himmel ist inzwischen zu einem mächtigen Planeten angewachsen, der bedrohlich nah an der Erde seine Bahn zieht. Und – dem Publikum ist das längst klar – es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Welt untergehen wird. Aus diesem perfiden Spiel mit den Erwartungen (der Figuren und des Publikums) bezieht der Film eine intensive Spannung.

„Melancholia“ ist (natürlich) schwer verdauliche Kost. Dem Film gelingt es einerseits durch überwältigende Bilder und Soundeffekte, das Szenario sehr real wirken zu lassen, bleibt aber andererseitd durch die hervorragenden, sich sichtlich verausgabenden Darsteller immer auch ein menschliches Drama. Ich könnte mich nicht erinnern, wann im Kino jemals so ernst über die Frage zu reden war, welches die beste Art sei, den Untergang der Erde gebührend zu begehen. Claire, Justine und Leo finden einen Weg.

4/5